Read Ebook: Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika by Gerst Cker Friedrich
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Ebook has 454 lines and 35300 words, and 10 pages
W?hrend der junge Arzt nun die alte Dame rasch die Treppe hinauftrug und die n?thigsten Anordnungen traf, sie wieder ins Leben zur?ckzurufen, wurde der Verwundete unten im Haus, in ein kleines, freundliches St?bchen gelegt, und die Ohnm?chtige jetzt der Sorgfalt der Tochter und einiger Dienstleute ?berlassend, eilte er wieder hinunter zu dem Freund, nach dessen Wunden zu sehen.
Diese waren jedoch nicht im mindesten gef?hrlich; nur ein Schlag des Pferdes wahrscheinlich, hatte ihn am Kopf getroffen und bet?ubt, und einzelne andere, aber ebenfalls unbedeutende Quetschungen r?hrten jedenfalls von dem letzten Sturz auf die rauhen scharfkantigen Sandsteine des Strandes her. Schon nach den einfachsten Belebungsversuchen schlug auch Don Gaspar die Augen wieder auf, und schien nur im Anfang erstaunt und ?berrascht, ja fast best?rzt von seiner Umgebung. Erst schloss er die Augen wieder, dann aber, sich rasch emporrichtend, warf er den Blick scheu und forschend im Zimmer umher, und liess ihn endlich mit einem wilden, fast unheimlichen Ausdruck auf dem Fenster haften, das, nach der gew?hnlichen Art der spanischen Wohnungen, mit starken Eisengittern versehen war, den Bewohnern der Parterrelokale in der heissen Jahreszeit besonders zu erlauben, auch die Nacht ?ber ihre Fenster offen zu halten, ohne einen Einbruch f?rchten zu m?ssen.
>>Was ist dies f?r ein Haus? -- was f?r ein Zimmer?<< rief er endlich, und presste seine H?nde gegen die Schl?fe, -- >>bin ich denn nicht? -- Stierna, Sie hier? -- wie ist mir denn, waren denn nicht die Pferde mit uns durchgegangen, und jetzt -- hier wieder?<< --
>>Wo Sie sind?<< lachte aber Leifeldt, der des holden Kindes gedachte, das er eben an der Mutter Bett verlassen -- >>in der Wohnung eines Engels und aufgehoben wie in Abrahams Schooss -- aber das nehmen Sie mir nicht ?bel, Gaspar,<< setzte er dann etwas ernster und mit freundlichem Vorwurf hinzu, >>Sie gehen mit Ihrem Leben ungef?hr gerade so um, als ob Sie jeden Monat ein anderes bekommen k?nnten, und dieses schon drei Tage ?ber die Zeit getragen h?tten. Wenn nicht Gottes Hand an diesem Nachmittag auf Ihnen lag, so mussten die w?thenden Pferde heute ausf?hren, wozu sich der Hai neulich nicht mehr hergeben wollte.<<
>>Die Pferde -- ja, ja -- Sie haben recht -- Pferde waren es gewesen und ein junges M?dchen glaub' ich -- oder ein Kind -- Pest noch einmal, mich schmerzt die Stirn -- ich fange jetzt an, mich auf die ganze Geschichte zu besinnen -- und ist das Kind gerettet? -- aber nehmen Sie mir doch den Verband wieder ab -- ich kann doch nicht mit dem Tuch um den Kopf ?ber die Strasse gehen.<<
>>Das sollen Sie auch nicht,<< erwiederte Leifeldt, >>das Kind ist allerdings gerettet, denn Ihr toller Sprung war wie der Arm eines Engels, der den herzigen Knaben vom sicheren Abgrund fortriss, aber jetzt m?ssen Sie sich ebenfalls ein wenig schonen, wenigstens eine Zeit lang Ruhe g?nnen, so bleiben Sie deshalb nur ruhig auf dem Bette liegen, es l?sst sich hier aushalten, und ich will indessen wieder einmal hinaufgehen und nach der alten Dame sehen.<<
>>Ist noch Jemand besch?digt worden?<< frug Don Gaspar rasch.
>>Nein,<< sagte Leifeldt, >>nur ohnm?chtig vom Schreck und der Aufregung -- aber schlafen Sie selber ein wenig, es kann Ihnen nur gut thun, und in einem kleinen St?ndchen komme ich herein und wecke Sie. F?hlen Sie sich dann stark genug, so k?nnen wir den Damen oben guten Abend sagen, und gehen dann zusammen zu Hause -- sie werden es sicherlich nicht erwarten k?nnen, dem Retter des Kindes selber zu danken. Ruhig -- keine Einrede,<< sagte er l?chelnd, als er sah, dass Gaspar dagegen protestiren wollte, >>ich bin jetzt Ihr Arzt und Sie m?ssen mir gehorchen, also folgen Sie brav, und ich hoffe, dass ich Sie morgen wieder in bester Ordnung auf Ihren F?ssen habe.<<
Er nickte Don Gaspar noch freundlich zu und eilte, ohne weiter eine Antwort von ihm abzuwarten, rasch die Treppe hinauf, nach seinem andern Patienten zu sehen -- und das s?sse Gift jener seelenvollen blauen Augen einzusaugen, die ihn schon jetzt, nach kaum einer ersten, fl?chtigen Bekanntschaft ahnen liessen, welche Seligkeit, aber auch welch tiefes bitteres Weh das arme Menschenherz f?hig sei in sich aufzunehmen -- je nachdem nun gerade die W?rfel fielen, die das Loos uns armer Sterblichen bestimmen.
Don Gaspar warf sich indessen auf sein Lager zur?ck, aber es liess ihm dort nicht lange Ruhe, und wie von irgend einem peinlichen Gedanken gequ?lt, stand er auf, zog sich an, und ging mit raschen Schritten in dem zwar etwas niedrigen, aber unendlich freundlichen Gemach auf und ab. Mehrmals versuchte er es, sich wieder niederzusetzen, aber ein fl?chtig aufgeschlagener Blick trieb ihn wieder empor, und nach und nach ward es fast, als ob ihm das Zimmer hier zu enge werde, und die Brust nicht mehr athmen k?nne in dem eingepressten Raum.
Das Gitter beunruhigte ihn.
Er sprang wieder auf und schritt, die Augen mit der Hand bedeckt, in dem Gemach auf und ab, wie ein gefangener Panther den K?fig misst, der ihn h?lt; aber lange vermochte er nicht gegen diess Gef?hl anzuk?mpfen. Er ging nach der Th?r und dr?ckte vorsichtig auf das Schloss, als ob er f?rchte, dass es verschlossen sein k?nne, und ein Ausdruck von wilder Freude zuckte blitzschnell durch seine Z?ge, als das Schloss dem leisen Drucke nachgab. Einen Augenblick horchte er hinaus auf den Gang -- es liess sich Niemand h?ren -- die Leute waren alle oben besch?ftigt, theils die n?thige H?lfe zu leisten, theils herauszubekommen aus der >>Herrschaft,<< wie denn die ganze Sache eigentlich gelaufen, damit sie auch den Zusammenhang der Geschichte f?nden -- dann griff er seinen Hut vom Tisch auf, schlich hinaus und verliess das Haus, als ob er ein Verbrechen begangen und nicht durch eine k?hne That eine ganze Familie gl?cklich gemacht h?tte, die gerade in diesem lieben Kind fast die einzige Freude fand, und durch den Verlust desselben, besonders in solch furchtbarer Art, entsetzlich elend geworden w?re.
Als Leifeldt schon nach Dunkelwerden das Zimmer wieder betrat, den Schlummernden, den er nicht hatte fr?her st?ren wollen, zu wecken und seinen neugewonnenen Freunden vorzustellen, fand er zu seinem Erstaunen den Vogel ausgeflogen und das Nest kalt.
Wenn er nun auch dies wunderliche Betragen nicht begriff, entschuldigte er doch oben den Freund, und versprach, ihn morgen fr?h, wenn er sich von dem kleinen Unfall vollkommen erholt haben werde, mitzubringen. --
>>Aber weshalb war er nicht wenigstens einen Augenblick zu ihnen herauf gekommen?<< -- selbst die alte Dame frug nach ihm und w?nschte ihn kennen zu lernen. Sie hatte sich vollkommen wieder erholt, hielt den Knaben auf ihrem Knie, und weinte und lachte, wenn sie an die furchtbare Gefahr dachte, der er, auf fast wunderbare Weise so gl?cklich entgangen.
Jedenfalls mochte er sich genirt haben, in dem Aufzug, mit durch den Sturz vielleicht zerrissenen Kleidern, mit verbundenem Kopf, sich ihnen zu zeigen -- aber war das recht? -- hatten sie nicht gerade das erste Anrecht ihn so zu sehen, und hiess das nicht die Bescheidenheit zu weit getrieben?
Leifeldt, der von den guten Menschen schon fast wie zum Hause selber geh?rend, behandelt wurde, versprach ihn gleich n?chsten Morgen einzuliefern, damit er Abbitte thun k?nne, verabschiedete sich dann aber auch selber, nach dem Freund, der jedenfalls zu Hause gegangen war, zu sehen, ob er vielleicht noch irgend etwas heute Abend bed?rfe.
Die Familie Newland, der Name der Frauen, denen die beiden Freunde am vorigen Tag so wesentliche Dienste geleistet, f?hlten sich besonders ge?ngstigt durch dies Verschwinden eines Mannes, dem sie so gern ihre Dankbarkeit bezeugt h?tten, und Mr. Newland, ein Greis von einigen siebzig Jahren, liess es sich nicht nehmen, selber auf die Polizei zu gehen, und dort die genauesten Nachforschungen nach dem Fremden anzustellen. Nichts destoweniger blieben alle derartige Versuche erfolglos, und eine volle Woche war schon vergangen, ohne auch nur eine Spur von Don Gaspar gebracht zu haben.
Leifeldt war indessen ein t?glicher Besucher der Newland'schen Familie geworden und dachte, von diesen selbst dazu aufgemuntert, ernstlich daran, seinen bleibenden Wohnsitz in Valparaiso zu nehmen. Leifeldt war ein vorz?glicher Kinderarzt, und da ihn sein gutes Gl?ck selbst in diesen ersten Tagen zwei sehr schwierige und gef?hrliche F?lle unter die H?nde brachte, denen er sich nat?rlich mit Aufopferung all seiner Zeit und Kr?fte hingab und die Kleinen auch, trotzdem dass sie von dem spanischen Arzte schon aufgegeben worden, dem Leben erhielt, schien der auf so eigenth?mliche Weise eingef?hrte >>deutsche Doctor<< einen f?rmlichen Ruf zu bekommen.
Gegen das Ende der Woche erkrankte aber auch der kleine Bill, ein sonst kr?ftiger und derber Junge, und trotz jeder angewandten Vorsicht, artete das erst leichte Unwohlsein bald in so ein b?sartiges hitziges Fieber aus, dass es selbst Grund zu den schlimmsten Bef?rchtungen gab.
Leifeldt verliess jetzt fast das Haus nicht mehr; Morgens nur besuchte er die wenigen Kranken, die sich ihm schon in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes anvertraut hatten und wachte dann selbst die N?chte an dem Bett des armen kleinen Burschen, der in Fieberphantasien lag und die H?ndchen oft, wie H?lfe flehend, nach ihm ausstreckte. Jenny leistete ihm hier fast ununterbrochen Gesellschaft, selbst die halben N?chte wachte sie, mit einer alten Dienerin gemeinsam, neben dem Bett des Lieblings und ach, welch' gl?ckliche Zeit war das f?r den jungen Arzt, dem die Stunden da wie Minuten entflogen und dem hier, von der gemeinsamen Sorge f?r das arme kleine Wesen beg?nstigt, mehr Gelegenheit ward, das gute Herz und tiefe Gem?th der Jungfrau zu ergr?nden, als er durch Jahre lange einfache Bekanntschaft gewonnen haben w?rde.
Bill war der Sohn ihres Bruders, eines Offiziers der chilenischen Marine, die Mutter des Knaben aber, eine junge Chilenerin, bald nach der Geburt des Kindes gestorben, das so, allein der Sorge des jungen M?dchens ?bergeben und von diesem aufgezogen, auch mit unendlicher Z?rtlichkeit von ihm geliebt wurde. Der Vater des Kleinen war weit in See und zu der Liebe f?r das Kind selber steigerte sich jetzt die Angst, dem theuren Bruder, bei dessen R?ckkehr den Knaben nicht wieder, wie fr?her, entgegenf?hren zu k?nnen, und in dem einen, seligen Moment Belohnung, o so reichliche Belohnung f?r all diese Aufopferung und Liebe zu finden.
In den ersten Tagen schien sie in der That nur von dem einen entsetzlichen Gef?hl der Angst f?r das Leben des Kindes fast bet?ubt, als aber die Krisis gl?cklich ?berstanden, und der Kleine ihr in dem kurzen Raum weniger Wochen gewissermassen zum zweiten Mal wiedergeschenkt war, da kannte ihr Gl?ck auch keine Grenzen, und Leifeldt las in den treublauen, Freude und Seligkeit strahlenden Augen auch die s?sse Hoffnung seines eigenen Lebens.
Was f?r frohe, lustige Pl?ne das arme Menschenherz doch aufbaut in solch sch?ner Zeit; wie sich die Schl?sser da blitzesschnell aus dem Boden heben und freundlich lachende Gefilde das Gl?ck zur?ckstrahlen, das unsere eigenen gl?cklichen Tr?ume ihm erst verliehen. Wo sind all die dunklen Schatten, die noch vor so wenigen Monden unser ganzes Leben umnachten wollten, wo die giftigen Schwaden der Sorge und des Leids, die sich auf die Bl?then unserer Jugend legten und ihre Keime zu ersticken drohten? -- eine einzige Sonnenwolke hat sie -- nicht verscheucht, denn der n?chste Augenblick kann sie finsterer, vernichtender emporheben als je vorher -- nur mit ihrem lichten, goldenen Schimmer ?berhaucht und w?hrend unser schwaches Auge, das in eine Ewigkeit blicken will, und nicht einmal im Stande ist, den d?nnen Glanz dieses Schimmers zu durchschauen, entz?ckt und selig an dem bunten Farbenschmelz h?ngt und den gl?henden Tinten mit seinen eigenen Bildern Leben giebt, zerst?rt ein Windhauch oft den ganzen tr?gerischen Bau, und das Herz m?chte mit seinen Schl?ssern zusammenbrechen und sterben, so weh ist ihm nachher.
Zehn Tage nach dem ersten Ausbruch der Krankheit des Kindes, war jede Gefahr beseitigt, ja es bedurfte nur noch geringer Pflege, den kleinen, aber sonst kr?ftigen K?rper vollkommen wieder herzustellen. So waren denn die Wachen am Bett des leidenden Knaben nat?rlich eingestellt, aber nichts destoweniger fand sich Leifeldt noch fast an jedem Abend, wie fr?her, ein, und im Gespr?ch mit den wackeren alten Leuten, die nur von einer kleinen Pension schlicht und einfach, mehr ihren Kindern und dem kleinen Enkel zu leben schienen, der Jungfrau gegen?ber, die dann an ihrer Arbeit sass und wie ein frohes Kind mit ihnen lachte und scherzte, oder auch gar ernst und sittsam die Theemaschine ?berwachte, die auf dem reinlich gedeckten Tisch brodelte, oder den Eltern das Brod r?stete zu dem frugalen Nachtmahl, vergingen ihm jene Abende wie im Flug, und er musste sich wahrlich oft fragen, ob er das Gl?ck, welches ihm jetzt das ganze Herz f?llte, nicht etwa nur tr?ume, und ob das in der That Wirklichkeit sei, welches ihm die Erde schon in diesem Leben zum Himmel mache. O wie lieb, wie heilig sie aussah in diesem gesch?ftigen Stillleben z?chtiger H?uslichkeit, und das Herz wollte ihm manchmal ordentlich verzagen, wenn er nur der M?glichkeit dachte, ein solches Wesen einst sein zu nennen.
Jenny dagegen blieb sich immer gleich gegen den jungen Mann; sie war vom ersten Augenblick an, als er sich der Mutter so annahm, so ungezwungen freundlich gewesen, als ob sie sich von Kindheit auf schon gekannt, und hier nicht fremd, im fremden Lande einander zuf?llig nur getroffen h?tten; nach des Kindes Krankheit aber, in der sich der junge Fremde ihr als ein wirklich treuer Freund bew?hrt, hatte ihr Betragen gegen ihn weit mehr Herzlichkeit gewonnen; wenn er kam, ging sie ihm bis zur Th?r entgegen, und reichte ihm die Hand, plauderte und lachte mit ihm, und freute sich seiner wachsenden Aussichten in der Stadt, die ihnen ja auch die Hoffnung liessen, dass er in Valparaiso bleiben und ihnen nicht wieder so bald genommen w?rde. Er war ein wirklicher Freund der Familie geworden.
Don Gaspar.
Und was konnte indessen mit Don Gaspar, dem Verschwundenen geschehen sein? -- Umsonst waren bis dahin Leifeldt's s?mmtliche Anstrengungen gewesen, auch nur seine Spur zu finden; -- wie von der Erde fort, blieb ihnen schon fast nichts ?brig, als zu glauben, die gierige Fluth, die auf dieser stillen Bai schon so manches Opfer gefordert, habe ihn verschlungen. Leifeldt selbst, der bis dahin viel auf sein ?berhaupt etwas excentrisches Wesen gebaut und immer noch gehofft hatte, pl?tzlich einmal aus irgend einer anderen Provinz einen Brief von ihm zu bekommen und dann auch die Ursache zu erfahren, weshalb er ihn, den Freund, so rasch und heimlich verlassen habe, fing an, diese Hoffnung aufzugeben und an den Tod des ungl?cklichen Freundes zu glauben, als er eines Tages von San Jago und zwar von einem jungen Manne Nachricht erhielt, den er hier in Valparaiso hatte kennen lernen. Dieser versicherte ihn, es lebe dort ein junger Spanier, der seiner Beschreibung fast vollst?ndig entspr?che, still und zur?ckgezogen in einem ganz abgelegenen Theile der Stadt und verkehre fast mit Niemandem. Leifeldt setzte sich augenblicklich auf die Post, die zwischen Valparaiso und der Hauptstadt Chile's l?uft, suchte und fand die bezeichnete Gegend, das ihm genau beschriebene Haus und lag, wenige Minuten sp?ter in den Armen des Wiedergefundenen, der bei seinem Anblick zuerst fast eine Bewegung machte, als ob er wieder fliehen wolle, dann aber sich an die Brust des Freundes warf und dort weinte, als ob er vergehen wolle vor innerem Schmerz und Weh.
Don Gaspar musste zuletzt wohl oder ?bel nachgeben, aber so herzlich er dem treuen Freunde dankte, so froh er sich selber zu zeigen suchte, war es doch augenscheinlich, dass noch irgend ein schwerer Schmerz auf ihm lasten musste, den er, trotz allen Bitten Leifeldts, nur in seinem eigenen inneren Herzen barg.
Fast mit Gewalt bewog ihn Leifeldt endlich, seine wenigen Sachen zusammen zu packen und mit ihm, noch an dem n?mlichen Abend nach Valparaiso zur?ck, aufzubrechen; er that es endlich, und Leifeldt vergass dann bald in seinem eigenen Gl?ck die gefurchte Stirn des Freundes, dem er jetzt einen getreuen Bericht der vergangenen Tage, seit dieser Flucht, zu geben anfing, und nicht aufh?ren konnte, die Liebensw?rdigkeit der kleinen Familie zu r?hmen, in die ihn sein gutes Gl?ck gef?hrt, oder in die er eigentlich besser durch Don Gaspars tollen Sprung f?rmlich hineingeworfen worden.
Don Gaspar h?rte ihm dabei l?chelnd zu und strich sich wohl manchmal, wenn jener immer wieder auf seine frohen Hoffnungen und Aussichten zur?ckkam, leicht aufseufzend, mit der flachen Hand ?ber die Stirn. Erst als sie am anderen Tag die letzten H?gel erreichten, die nach der Stadt hinunterf?hrten, und wieder in Sicht des Meeres kamen, war es auch fast, als ob ein neuer Geist in dem jungen Spanier erwache. Er richtete sich hoch in dem Wagen auf und mit leuchtenden Blicken nach den einzelnen schneeigen Segeln deutend, die hie und da von dem dunklen Hintergrund des Meeres her?berblitzten, rief er aus:
>>Das Meer! -- das weite fr?hliche Meer -- sieh wie es da liegt und wogt und brandet und sich einw?hlt in seine eigenen Arme. -- Wie ein Becher sch?umenden Weines breitet sich's aus -- und oh, wer doch, eine Perle in seinem Grunde l?ge.<<
>>Unsinn,<< lachte aber Leifeldt, jetzt mit der Stadt vor sich ausgebreitet, die Alles in sich barg, was ihm lieb und theuer auf dieser Welt war, in aufsprudelnder Lust -- >>wie eine Perle? -- sag lieber wie eine todte Fliege, wenn Du das Meer denn doch mit einem Glase vergleichst -- eine Fliege, Freund, die an's Ufer treibt und wieder ausgeschieden wird. Nein, fort mit den traurigen Gedanken -- sieh, Dein Auge hat sich schon ordentlich belebt, und Du f?ngst an, wieder wie ein vern?nftiger Mensch auszusehn. Jetzt weiss ich auch, was Dir bis dahin in den Knochen gelegen -- die engen H?gel waren es, die Dich umschlossen, die schwere Luft, die in das schmale Thal herniederpresste -- hier ist der Himmel frei, hier dehnt sich die See wieder in unbegrenzter Breite vor uns aus, und das Herz wird weit und athmet voll, und es ist ordentlich, als ob das Blut in unseren Adern fl?ssiger, lebendiger geworden w?re. Ich m?chte nicht mehr im inneren Lande leben, seit ich erst einmal Seeluft gekostet, und ich kann mir wahrlich nicht denken, dass man sich wieder da wohl f?hlen k?nne, wo man schon einmal den vollen Genuss eines solchen Anblicks, wie wir ihn jetzt feiern, kennen gelernt und mit der Zeit unentbehrlich gefunden hat.<<
>>Und wenn Deine Jenny nun nach San Jago z?ge?<< sagte Don Gaspar, l?chelnd zu ihm aufschauend, >>wie w?r es dann mit der See?<<
Leifeldt schoss das Blut wie mit einem pl?tzlichen Strahl in die Schl?fe, und er erwiederte, aber mit etwas gezwungener Gleichg?ltigkeit. >>Unsinn, Gaspar -- wenn mir das M?dchen wirklich nicht gleichg?ltig w?re, wie d?rfte ich jetzt auch nur daran denken, um sie zu werben, wo ich eben erst angefangen habe, festen Fuss zu fassen. Valparaiso ist ein theurer Ort, und wer hier eine Familie haben und sie anst?ndig durchbringen will, darf eben nicht nur ein junger Arzt und Anf?nger sein -- und in sp?teren Jahren -- lieber Gott, wir wissen nicht, was die n?chste Stunde bringt, w?r' es nicht Thorheit, wollten wir uns Pl?ne auf lange Jahre hinaus machen.<<
>>Und vielleicht helf ich Dir doch,<< sagte freundlich Don Gaspar, ihm die Hand hin?ber reichend -- >>hier in Valparaiso bin ich allerdings nicht im Stande gewesen, Geld zu erheben, auf das ich bestimmt gerechnet hatte, aber ich habe mit der letzten Post nach Madrid geschrieben, und kann schon etwa die Tage berechnen, wo ich nicht mehr der arme Don Gaspar sein werde, wegen dem der Freund Existenz und Brod verl?sst, ja seine Freiheit und sein Leben auf's Spiel setzt, ihn zu retten.<<
>>Unsinn, Unsinn,<< lachte Leifeldt, Don Gaspar hatte aber seine Hand ergriffen, schaute ihm ein paar Sekunden, nur gewaltsam eine innere Aufregung bek?mpfend, ins Auge und fuhr dann mit leiserer aber fester Stimme fort:
>>Es k?nnte sein, Federigo, dass ich -- wir sind Alle Menschen und wissen nicht, wann uns Gott abruft -- dass ich pl?tzlich sterben k?nnte -- ich habe deshalb den erwarteten Wechsel an Dich adressirt, und ich m?chte Dich bitten<< --
>>Gaspar!<< rief aber Leifeldt bittend, und jetzt wirklich beunruhigt, >>was zum Henker giebst Du Dich pl?tzlich so tr?ben Gedanken hin. -- Wir sind allerdings sterblich, und jeder Moment kann unserer Laufbahn ein rasches, gewaltsames Ziel stecken, Du vor allen Anderen darfst aber nicht f?rchten, dass Dich das Schicksal einem schnellen Tode bestimmt habe, denn wahrhaftig, Du hast ihm Gelegenheit genug gegeben, in solchem Fall zuzulangen. Aber allerdings m?chte ich nicht f?r Dich einstehn, wenn Du so fortf?hrst, Dein Leben wirklich zum Fenster hinauszuwerfen -- einmal findest Du es doch nicht wieder. Mensch, wenn ich nur an die beiden F?lle zur?ckdenke, wie Du auf den Hai hinuntersprangst, oder Dich den herandonnernden Pferden entgegenwarfst, so weiss ich wahrlich jetzt selber nicht, wie es ?berhaupt m?glich war, nicht einer Gefahr -- denn das kann man schon nicht einmal mehr Gefahr nennen -- sondern dem wirklichen Tode so durch ein Wunder zwei mal zu entgehen. Die G?tter droben k?nnen Dich also jedenfalls noch nicht gebrauchen, und Du magst v?llig ruhig und unbek?mmert in die Zukunft blicken.<<
>>Und es ist merkw?rdig,<< sagte Don Gaspar kopfsch?ttelnd, >>ich kann mich auf die Einzelheiten der beiden F?lle gar nicht mehr besinnen -- aber sieh da,<< unterbrach er sich pl?tzlich, als der Wagen, von den raschen Pferden wie im Fluge dahin gef?hrt, die ?usserste Grenze der Vorstadt ber?hrte -- >>wir sind an Ort und Stelle, wie es scheint, und die Pferde wittern den Stall. -- Wetter noch einmal, wie sie ausgreifen, und dort<< -- Leifeldt machte pl?tzlich eine Bewegung, als ob er hinausspringen wollte, und mehrere Damen gingen, ohne jedoch nach dem Wagen selber her?berzusehen, auf den Trottoirs der Strasse hin, Don Gaspar ergriff aber seinen Arm und sagte lachend:
>>Darf hier nicht galoppiren mit den Thieren, Se?or,<< erwiederte aber dieser -- >>Polizei will's nicht haben.<< --
>>Ja so, die Polizei will's nicht haben,<< sagte Don Gaspar pl?tzlich ganz ruhig, und w?hrend sich Leifeldt so weit er konnte aus dem Wagen bog, den Damen nachzuschauen, lehnte sich der junge Spanier in die Ecke zur?ck, und schaute still vor sich nieder.
Im Hotel wieder angekommen, wo Leifeldt, unn?tzen Fragen zu begegnen, das anscheinende Verschwinden des Freundes einem von diesem abgesandten, aber verloren gegangenen Brief zuschrieb, machte sich der junge Deutsche vor allen Dingen auf, Mr. Newland zu besuchen und der Familie die fr?hliche Nachricht von dem Wiederauffinden und Zur?ckkehren des Freundes zu bringen, um diesen dann, wie ihn auch die alten Leute dringend baten, heute Abend noch dort einf?hren zu k?nnen.
Don Gaspar war an diesem Abend so heiter, wie ihn Leifeldt noch nie gesehen -- er schien sich selber auf den Besuch zu freuen, kleidete sich mit besonderer Sorgfalt und erkundigte sich, was er bis dahin noch nicht gethan, genau nach den verschiedenen Gliedern der Familie; ihrem Alter, ihren Besch?ftigungen, selbst ihrem ?usseren, und Leifeldt wurde nicht m?de, ihm zu erz?hlen.
Der Empfang, der ihm dort wurde, war auch so herzlich, als ob er ein eigener Sohn der alten Leute gewesen w?re; der Greis nur machte ihm Vorw?rfe, dass er sich ihrem Dank so lange entzogen und Leifeldts Hand ebenfalls ergreifend, sagte er mit vor innerer R?hrung tief bewegter Stimme:
Don Gaspar wandte sich, die Jungfrau ebenfalls zu begr?ssen, und Jenny trat in diesem Augenblick auf ihn zu, reichte ihm, wie einem alten Freund, die Hand und sagte herzlich:
>>Sie sind willkommen, Don Gaspar, wie die Blumen im Mai, und es hat uns nur Allen so leid gethan, Ihnen das nicht fr?her sagen zu k?nnen -- doch es war Ihre eigene Schuld -- kommen Sie jetzt nur recht oft, und Sie werden sich wohl bei uns f?hlen. -- Aber hier, Bill<< -- wandte sie sich dann pl?tzlich zu dem kleinen Burschen, der sch?chtern hinter ihr stand und an ihrem Kleide zupfte >>hier, Bill, das ist der Gentleman, der Bill damals gerettet hat, als #little boy# so sehr unartig war und auf die Strasse hinaus lief, dass #grandmama# krank wurde und nicht mehr gehen konnte -- weisst Du das noch -- und giebst Du ihm kein H?ndchen?<<
Bill, die kleinen Finger seiner linken Hand, die ihm Jenny drei- oder viermal herunter bog, immer unverdrossen wieder in das rosige M?ndchen schiebend, kam langsam, das K?pfchen niedergedr?ckt und nur sch?chtern zu dem Fremden hinaufschielend, n?her, und reichte ihm versch?mt das rechte H?ndchen hin.
Wunderbar war der Eindruck, den Jennys Anblick auf den jungen Spanier machte, und Leifeldt l?chelte mit einer Art freudigen Stolz sogar, als er sah, wie sich der Freund dem holden lieblichen Kinde gegen?ber f?rmlich befangen f?hlte.
Don Gaspar stand in der That im ersten Moment da, als ob er eine Erscheinung gesehen, und nur wie bewusstlos ergriff er die dargebotene Hand in seinen beiden H?nden, und hielt sie sogar noch fest geschlossen, als Jenny sich schon leise von ihm losmachen wollte, ihm den Knaben zuzuf?hren. Erst dann, als er f?hlte, dass sich ihm die Jungfrau zu entziehen suchte, liess er sie erschrocken frei, und das Kind aufnehmend, das ihn im Augenblick vertraut, mit den grossen hellblauen Augen freundlich anlachte, und in seinem kraussen Bart spielte, k?sste er den Kleinen auf Wangen und Mund und nannte ihn einen braven kleinen Burschen, der nicht wieder auf die Strasse hinauslaufen und seiner guten Grossmutter und Schwester Schmerz bereiten w?rde.
An dem Abend war Don Gaspar ein ganz anderer Mensch geworden; es schien ordentlich, als ob die sonst manchmal eisige Rinde seines Herzens aufthaue in der Gesellschaft der lieben Menschen. Besonders wurde es Jennys lebendige Unterhaltung, die ihn anzog, Geist und Gem?th fanden dabei gleiche Nahrung, und fortgerissen von dem lieblichen Feuer des sch?nen M?dchens, vergass er bald seine ganze Umgebung, und liess sich mehr und mehr hinreissen in bunter und gl?hender werdenden Schilderungen und Bildern. Die Pyren?en und Felsengebirge, der Amazonenstrom wie der Ganges waren, so jung er noch schien, schon der Schauplatz seiner Thaten gewesen -- auf der Jagd bald, bald im Kampf mit den Eingeborenen, hatte es den Knaben fast von Land zu Land getrieben. Nach Spanien zur?ckgekehrt, fand der th?tige Geist keine Nahrung f?r sein Streben, seine Pl?ne, und der Krieg der Argentinischen Republik mit Monte-Video, schon die Schilderung jener wilden Reiter der Pampas liess ihm bald daheim den Boden unter den F?ssen brennen. Noch ein J?ngling fast, hatte er schon die Thaten und Erfahrungen eines Menschenalters auf sein Haupt gesammelt, und er konnte nicht still stehn an der Grenze des Begonnenen.
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